Die Strahlentherapie ist wie die chirurgische Operation und anders als die im gesamten Körper wirkende (systemische) Chemotherapie eine lokale Behandlung, die nicht umkehrbar ist.
Im Gegensatz zur Chirurgie schneidet aber die Bestrahlung das Akustikusneurinom weder aus dem Körper, wie es die Bezeichnungen ...-Chirurgie oder ...-Knife (= Messer) glauben machen könnten, noch schmilzt es den Tumor weg.
Die Bestrahlung verändert die DNS der Tumorzelle und verhindert so deren Teilung und damit weitere Vermehrung. Das Ziel einer Bestrahlung ist also ein Wachstumsstillstand des Tumors Akustikusneurinom .
Wegen der zwangsläufigen «Mitbestrahlung» von gesundem Gewebe zwischen Strahlenquelle und Zielpunkt Tumor, aber auch wegen einer nicht völlig vermeidbaren Mitbestrahlung des Randbereiches ist ein Akustikusneurinom mit einem mittleren Durchmesser von grösser als 2,5 bis max. 3.0 cm nicht für eine Bestrahlung geeignet.
Mediziner setzen seit Jahrzehnten Strahlen mit Teilchen- und Wellencharakter gegen bösartige und gutartige Geschwülste ein. Sie arbeiten dabei vor allem mit Röntgen- oder Gammastrahlen, die aus kleinen Lichtteilchen, sogenannten Photonen, bestehen. Die Wirkung einer Bestrahlung beruht auf der Energieübertragung auf das durchstrahlte menschliche Gewebe. Mit grosser Geschwindigkeit und hoher Energie treffen die Photonen auf den Tumor. Dort schlagen sie Elektronen aus den Atomen der Tumorzellen. Dabei kommt es sowohl zu direkten Treffern an Molekülen, die für das Zellwachstum wesentlich sind, als auch zur Ionisierung von Wassermolekülen, wodurch hochtoxisch wirkende freie Radikale entstehen. Für die tumorfeindliche Wirkung einer Bestrahlung sind Treffer und Schäden an dem Erbgut der Zellen, der sogenannten DNS (Desoxyribonukleinsäure) verantwortlich. Dabei gehen die Baupläne für viele lebenswichtige Eiweisse verloren. Sind die Schäden an den Tumorzellen so gross, dass sie die zelleigene Reparaturfähigkeit überschreiten, wird die Vermehrung der Tumorzellen durch Zellteilung verhindert und es kommt zum Wachstumsstillstand.
Zur Wirkung der Bestrahlung müssen mehrere Treffer in enger räumlicher und zeitlicher Nähe eintreten. Der Erfolg setzt also eine genaue Kenntnis der jeweiligen Tumorkonturen und auch eine zielgerichtete Bemessung der Strahlendosis voraus . Ein Problem ist aber, dass die Energieabgabe auf den im Körper innerhalb gesunden Gewebes liegenden Tumor nur begrenzt konzentriert werden kann. Moderne Technik hilft heute, dieses Problem zu überwinden: Man lenkt die Strahlen aus unterschiedlichen Richtungen auf den Tumor. Sie überschneiden sich dann am berechneten Zielpunkt und bündeln so im Zentrum ihre stärkste Wirkung (sie werden fokussiert). Gleichzeitig schirmen bewegliche Blenden die Strahlen vor empfindlichem gesundem Gewebe ab.
Ausserdem kann eine «Laune der Natur» hier zum Wohle des
Menschen ausgenutzt werden:
Das Normalgewebe hat eine andere Empfindlichkeit gegenüber
radioaktiver Strahlung als Tumorgewebe . Anders ausgedrückt:
Tumorzellen haben in der Regel eine schlechtere Reparaturfähigkeit für
DNA-Schäden als normale Zellen. Die sauerstoffreicheren Tumorzellen nehmen mehr
Strahlen auf als gesunde Zellen. Eine optimale Strahlendosis erreicht im
Durchschnitt >90 % Tumorvernichtung bei < 5 % mehr oder weniger schweren
Nebenwirkungen auf das gesunde Gewebe.
Diesen Unterschied nutzt man aus, indem man die geplante Gesamt-Strahlendosis auf mehrere kleine Einzeldosen von jeweils 1,8 - 2,5 Gy (Gray) verteilt (= Fraktionierung). Damit verringert sich die mit der gleichen Gesamt-Dosis abgetötete Anzahl gesunder Zellen. In der Zeit zwischen zwei Bestrahlungen vermögen sich die ungewollt getroffenen gesunden Gewebezellen wieder zu regenerieren, die Tumorzellen aber nicht. Die maximal tolerierte Gesamtdosis des Normalgewebes (ca. 10 Gy bei kleinem Volumen) kann so auf ein Vielfaches gesteigert werden (bis zu 80 Gy).
Unter stereotaktischer Bestrahlung versteht man Behandlungsmethoden und -techniken, die eine präzise Lenkung einer hohen Strahlendosis in einem vorher exakt definierten Zielvolumen erlauben. Durch einen steilen Dosisabfall ausserhalb des Zielvolumens werden die benachbarten strahlensensiblen, gesunden Gewebe und Strukturen optimal geschont.
Die notwendige geometrische Präzision wird durch dreidimensionale stereotaktische Lokalisations- und Positionierungssysteme erreicht. Durch externe dreidimensionale Koordinatensysteme können Zielpunkte im Körper des Patienten mit einer Genauigkeit im Millimeterbereich (die Gerätehersteller geben eine Positionsgenauigkeit von 0,2 – 0,3 mm an) definiert und in den Fokus eines Bestrahlungsgerätes gebracht werden.
Nach dreidimensionaler computergestützter Bestrahlungsplanung
wird der Tumor punktgenau aus mehreren Raumrichtungen von aussen bestrahlt. Die
Dosen der einzelnen Strahlen werden an die Geometrie des Zielvolumens angepasst
und haben entlang des Strahls eine so niedrige Energie, dass das durchstrahlte
gesunde Gewebe nur gering belastet wird. Im Zielvolumen treffen sich alle
Strahlen in einem Brennpunkt und addieren sich hier zu der gewünschten hohen
Dosis, die zur Schädigung bis zur Vernichtung der Tumorzellen führt.
Nicht nur das zwischen Quelle und Zielpunkt liegende und deshalb durchstrahlte Gewebe ist so weit wie möglich zu schonen, sondern auch das um den Zielpunkt herum liegende gesunde Gewebe. Das gerade ist bei Hirntumoren und speziell beim Akustikusneurinom durch die Nähe wichtiger Hirnnerven ein sehr sensibler Bereich. Der Bestrahlungsplanung muss deshalb eine möglichst detailgetreue dreidimensionale Ermittlung des Tumorvolumens vorausgehen. Das erfolgt mit Hilfe von CT, MRT und anderen bildgebenden Verfahren unmittelbar vor Therapiebeginn, um ganz aktuell zu sein.
Stereotaktische Bestrahlung mit einer einmaligen hohen Dosis von ca. 11 bis 13 Gy (in speziellen Fällen auch 12 bis 18 Gy) bezeichnet man als Einzeitbestrahlung oder Radiochirurgie. Hierzu zählen GammaKnife und CyberKnife. Die Behandlung dauert hier zwischen 30 Minuten und 3 Stunden.
Demgegenüber wird bei der fraktionierten stereotaktischen Bestrahlung
oder Radiotherapie (FSRT) die geplante Gesamtdosis über
mehrere Tage bis zu sechs Wochen auf mehrere, kleinere Einzeldosen aufgeteilt.
Die eigentliche Bestrahlung dauert hier jeweils etwa 1 Minute, mit
Vorbereitungsarbeiten jeweils etwa 10 bis 20 Minuten.
Die notwendige Strahlung kann aus natürlichen
Quellen (Kobalt 60) bezogen werden wie beim GammaKnife, oder künstlich
durch Beschleuniger erzeugt werden, wie beim CyberKnife oder bei den LINAC-
oder Siemens-Linearbeschleunigern.
Eine Bestrahlungstherapie weist einige Vorzüge gegenüber einer chirurgischen Operation auf:
Je nach Lage und Grösse des Tumors können gelegentlich schwache Frühreaktionen auftreten. Diese können Schwindel, Übelkeit, Brechreiz, Schleimhautentzündung im Mund-Rachenbereich lokalen Haarverlust, Kopfschmerzen, Empfindungslosigkeit an der Kopfhaut und Unbehagen an den Befestigungsstellen der Kopfmaske einschliessen. Diese Frühreaktionen dauern meist nur kurz und bilden sich immer vollständig zurück.
Spätreaktionen nach mehreren Monaten können Gefässverengungen und Fibrosen (Narbenbildung) im Bindegewebe sein. Diese bleiben lebenslang erhalten. Diese Spätreaktionen sind es dann auch, die den Wert der Bestrahlung des Akustikusneurinoms insgesamt relativieren.
Durch die Bestrahlung wird das Akustikusneurinom nicht entfernt, sondern inaktiviert. Das ist immer wieder zu betonen. Bösartige Metastasen im Gehirn beginnen zirka sechs Wochen nach der Bestrahlung zu schrumpfen. Akustikusneurinome aber schwellen oft sogar nach einer Bestrahlung zwischenzeitlich an. Ein Rückzug des Tumors, also eine Vernarbung des inaktivierten Tumors, erfolgt oft erst nach zwei bis vier Jahren.
Berichte aus mehreren Kliniken und Ländern weisen eine über 90-prozentige Tumorkontrolle aus, d.h. in mindestens neun von zehn Fällen kommt es zum Wachstumsstillstand. Es kommt aber auch zu weiterem Tumorwachstum, sofort oder nach längerer Zeit. Gründe sind die eventuell nicht ausreichend gewesene Dosis oder weil der Tumor vor allem in den Randbereichen nicht die erforderliche Dosis erhalten hat. Das ist wegen der Bemühungen, mit der Bestrahlung nicht über die Tumorrandbereiche hinaus in das gesunde Gewebe zu kommen, und wegen der oft vielgestaltigen, unregelmässigen Tumorformen nicht verwunderlich.
Über wirklich nennenswerte Nebenwirkungen oder dauerhafte Spätfolgen einer Bestrahlung kann deshalb auch oft erst nach Jahren geurteilt werden. Gefürchtet sind Zirkulationsstörungen des Hirnwassers mit Aufstauung (Hydrozephalus). Eine Beeinträchtigung des Gesichtsnerven ist sehr selten und liegt unter zwei Prozent. Beim Hörnerv tritt in etwa 20 Prozent eine Verschlechterung ein. Oft tritt aber zeitversetzt nach Jahren eine einseitige Ertaubung ein. Vor der Therapie bereits vorhandener Schwindel und Tinnitus lassen sich durch eine Bestrahlung nicht beseitigen! Der Grund ist einfach: Die Raumforderung, die die Nerven bedrängt und zu diesen Symptomen geführt hat, ist im Wesentlichen noch vorhanden.
Vorbestrahlte Organe und Gewebe sind sehr empfindlich und neigen bei weiteren Dosiseinträgen zu schweren Nebenwirkungen bis zur Nekrose. Wenn das Akustikusneurinom nach der Bestrahlung wieder wächst, kann nach strahlentherapeutischen Faustregeln nach einigen Jahren mit reduzierter Dosis noch einmal bestrahlt werden. Die notwendige Reduzierung der Dosis lässt aber auf eine unvollständige Wirkung einer zweiten Bestrahlung schliessen. Nach einer zweiten Bestrahlung kommt es in jedem Fall zur einseitigen Ertaubung.
Soll oder muss nach einer Bestrahlung operiert werden, verschlechtern sich die Bedingungen für die Operation, sowohl was die restlose Entfernung des Akustikusneurinoms als auch die Vermeidung einer Fazialisparese und einen Hörerhalt betrifft. Die Ursache sind Gewebeveränderungen am Tumor selbst und in seiner unmittelbaren Umgebung und ein Verkleben und Verwachsen des Tumors mit den umgebenden Strukturen, darunter eben auch Nerven. Das bestrahlte Gewebe hat seine Farbe und seine Konsistenz verändert, ist schwerer von seiner Umgebung zu unterscheiden und schwerer auszulösen.
Obwohl Akustikusneurinome bereits seit vielen Jahren
bestrahlt werden, gibt es immer noch keine randomisierten Studien über den
Erfolg und über Spätfolgen. Randomisierte Studien sind Studien, die über einen
ausreichend langen Zeitraum mit einer ausreichend grossen Menge absolut nach
dem Zufallsprinzip für verschiedene Kriterien durchgeführt werden. Deshalb
bleibt bei allen Empfehlungen für die Bestrahlung eines Akustikusneurinoms eine
Unsicherheit, was die Dauerhaftigkeit der Ergebnisse in der Zukunft anbelangt. Denn
letztendlich ist heute die Frage noch offen, wie sich ein bestrahlter Tumor in
der Zukunft verhalten wird . Das aber ist von grosser Bedeutung
für eine Therapieentscheidung – vor allem für Patienten mit einer noch
respektablen Lebenserwartung.
Die Radiotherapie und Radiochirurgie stellt aber unbestritten bereits heute für
Patienten mit einem hohem Narkose- und Operationsrisiko
(internistische Probleme, die eine Operation gefährlich machen) eine Alternative
zur offenen Operation dar. Auch für Patienten, die aus
irgendwelchen Gründen gegen eine Operation sind, ist
die Bestrahlung eine brauchbare Therapie. Und insbesondere ältere
Betroffene , die zudem noch unter wenigen Symptomen leiden,
können den schonenderen Weg einer Bestrahlung wählen und quasi «auf Zeit spielen» . Hier reicht eventuell
ein sehr wahrscheinlich eintretender und einige Jahre anhaltender
Wachstumsstillstand, da eine nachfolgende Operation wenig unwahrscheinlich
notwendig wird.
Allerdings dürfen andere Parameter, zum Beispiel die Lage und Grösse des Tumors
und die bereits eingetretenen Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes, aber
auch persönliche Faktoren wie beispielsweise die familiäre und berufliche
Situation und die individuelle Leidensfähigkeit des Patienten
(Verträglichkeit einiger Symptome) nicht unberücksichtigt bleiben!
Und eines ist unbedingt zu beachten: Nach einer Akustikusneurinom-Bestrahlung sind lebenslang jährlich MRT-Kontrolluntersuchungen erforderlich. Die Angst, das Akustikusneurinom könne wieder erwacht sein, kann für manche(n) Stress bedeuten. Und dann steht man wieder vor der Entscheidung.
Über allem aber steht die Einschränkung, dass ein Akustikusneurinom mit einem mittleren Durchmesser von grösser als 2,5 bis 3,0 cm nicht bestrahlt werden sollte.